Tennis-Weltmeisterschaft: Die Geschichte der ATP Finals

Eine offizielle Tennis-Weltmeisterschaft gibt es heute nicht mehr. Im Jahr 2000 lösten die heutigen ATP Finals die Tennis-WM ab. Doch die Idee ist gleichgeblieben. Eine Geschichte über den Modus, die Preisgelder und die Gewinner der ATP Finals.

Warum die ATP Finals die Tennis-Weltmeisterschaft sind, wie hoch das Preisgeld ist und wie der Modus funktioniert.

Es sind die Finalspiele der besten acht Tennisspieler der Welt: die ATP Finals. Während die vier Grand-Slam-Turniere bei Fans und Tennis-Hobbyspielern für heiße Diskussionen sorgen, gerät die Tennis-Weltmeisterschaft schnell in Vergessenheit. Zu Unrecht. Denn bei der Tennis-Weltmeisterschaft kommt nicht nur die Tenniselite des Jahres zusammen. Vielmehr waren die ATP Finals zuletzt auch Plattform kleinerer Experimente. Mittendrin: die deutsche Tennislandschaft. Die Geschichte der ATP Finals.

Spätherbst 1990, Frankfurter Festhalle, Hessen. Andre Agassi steht im Finale der ersten offiziellen ATP-Weltmeisterschaft. Sein Gegner: Stefan Edberg. Nach einem 5:7-Satzverlust dreht der US-Amerikaner auf – und damit auch die Partie. 7:6, 7:5 und 6:2 entscheidet der Ehemann von Steffi Graf die Sätze zwei, drei und vier. Agassi ist damit der erste – offizielle – Tennis-Weltmeister der Geschichte.

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Als 1990 die Crème de la Crème des Tennis zum Saisonabschluss nach Deutschland reist, herrscht hierzulande ein Tennisboom. Ausgelöst hatten diesen Steffi Graf und Boris Becker, die deutschen Tenniswunder.

Die Entscheidung der ATP, der Tennisweltverband der Herren, die erste offizielle Tennis-Weltmeisterschaft nach Deutschland zu legen, hatte durchaus Marketinggründe. Zuvor nämlich gastierten die besten männlichen Profis des Jahres zum Saisonabschluss vor allem in den USA.

Das Masters ist der Vorläufer der ATP-Weltmeisterschaft

Nachdem der Internationale Tennisverband (ITF) Ende der 1960er-Jahre die Tennisturniere für Profis öffnete, professionalisierte sich damit auch der gesamte Tennissport. Zum Teil besser ausgebildete Spielerinnen und Spieler und extravagantere Persönlichkeiten zogen das Publikum in die Arenen.

Die ITF und vor allem der Herren-Spielerverband ATP sahen die Möglichkeit gekommen, Tennis groß zu vermarkten. Neben den vier Grand-Slam-Turnieren sollten weitere Tennis-Großevents für Gelder sorgen. Eine Tennisweltmeisterschaft schien dafür die genau richtige Idee.

Daraufhin stampfte der ITF 1970 das sogenannte Masters aus dem Boden, ein Turnier der besten acht männlichen Tennisspieler des Jahres. Schnell entwickelte sich daraus die inoffizielle Tennisweltmeisterschaft. Kein Wunder, schließlich standen die Grand-Slam-Sieger der Saison auf dem Platz. Der erste Masters-Sieger 1970 in Tokio: der US-Amerikaner Stan Smith.

Nachdem die ITF in den Masters-Anfangsjahren die Austragungsorte bis 1976 fleißig gewechselt hatte, war die Endrunde ab 1977 fester Bestandteil des New Yorker Tenniskalenders. Die prominente Spielstätte: der Madison Square Garden. In der vielleicht bekanntesten Mehrzweckarena der Welt konnten in 13 Jahren mit Jimmy Connors, John McEnroe, Björn Borg, Ivan Lendl, Boris Becker und Stefan Edberg sechs Spieler den Masters-Titel gewinnen.

Die ATP bringt die Tennis-Weltmeisterschaft nach Deutschland

Ende der 1980er-Jahre entschied die ITF dann, die Austragung an die ATP abzugeben. Der Herren-Tennisverband machte aus der inoffiziellen Tennis-Weltmeisterschaft eine offizielle. Die Folge: Das Masters wurde aus dem Turnierkalender gestrichen, die ATP präsentierte stattdessen die ATP-Weltmeisterschaft.

In Deutschland sollten nun ab sofort die besten acht Tennisspieler der Saison aufeinandertreffen – um erstmals einen offiziellen Weltmeister auszuspielen. Vom Madison Square Garden ging es also in die Frankfurter Festhalle. Dort sollte vor allem Boris Becker im Mittelpunkt stehen. Und das funktionierte. Zweimal (1992 und 1995) gewann der deutsche Starspieler die Tennis-Weltmeisterschaft, 1994 unterlag er Pete Sampras im Finale knapp. Mit Michael Stich konnte sich 1993 noch ein weiterer deutscher Tennisspieler die WM-Krone aufsetzen.

1996 wanderte die Tennis-Weltmeisterschaft schließlich nach Hannover. In vier Jahren sicherte sich Pete Sampras in der niedersächsischen Hauptstadt dreimal den ATP-Titel. Nach seinem Sieg 1999 war dann plötzlich Schluss in Deutschland – auch für den konkurrierenden, seit 1990 in München stattfindenden Grand Slam Cup der ITF.

Aus der ATP-Weltmeisterschaft wird der Tennis Masters Cup

Obwohl der Grand Slam Cup in München mit bis zu zwei Millionen Euro Preisgeld und die ATP-Weltmeisterschaft in Frankfurt und später in Hannover mit den besten Tennisspielern der Welt aufwartete – gänzlich zufrieden waren die Tennisverbände mit ihren Turnieren nicht. Mitunter lag dies daran, dass zwei Eliteturniere in Deutschland um die Gunst der Zuschauer buhlten. ATP und ITF – sie machten sich selbst Konkurrenz.

Das spürten schließlich auch die beiden Verbände. Gemeinsam entschieden sie, die Kräfte zu bündeln. Aus der Weltmeisterschaft wurden erneut die Masters – und hießen nun Tennis Masters Cup.

Sein Debüt feierte das Turnier im Jahr 2000 in Lissabon. Erster Sieger war der Brasilianer Gustavo Kuerten. Nach Sidney (2001), Shanghai (2002, 2005-2008) und Houston (2003-2004) war dann jedoch wieder Schluss mit dem Tennis Masters Cup. Ein neuer Name sollte her.

ATP World Tour Finals und ATP Finals: Zwölf Jahre in London

Kurzerhand entwickelte der Herren-Tennisverband die ATP World Tour Finals – um den Saisonabschluss auch im Namen fest zu verankern. Doch das war nicht alles. Es sollte vor allem auch neues Gewand her. Einfach, um der Finalrunde eine ähnliche Bedeutung wie die der Grand-Slam-Turniere zu geben. Die Lösung: Intern einigte man sich beim Verband auf einen festen Austragungsort. Von Shanghai wanderte die Tennis-Weltmeisterschaft also nach London.

Dort fanden die ATP World Tour Finals und seit 2017 die ATP Finals bis ins Jahr 2020 in der O2-Arena statt. Im April 2019 entschied der Tennis-Herrenverband dann, die Finalspiele nach Norditalien zu verlegen. Bis mindestens 2025 ist Turin nun Ausrichter der ATP Finals. Ob die Tennis-Weltmeisterschaft anschließend noch den gleichen Namen behält – offen.

Acht Spieler qualifizieren sich für die ATP Finals

Was sich trotz zahlreicher Namensänderungen nicht geändert hat, ist die Zahl der Teilnehmer bei den ATP Finals. Seit Einführung des Vorgängerturniers in den 1970er-Jahren acht Spieler um den Tennis-Weltmeistertitel.

So sind bei den ATP Finals im Einzel die besten acht Spieler der Saison qualifiziert, im Doppel die acht besten Teams. Als beste Spieler gelten jene, die im abgelaufenen Jahr die meisten Punkte auf der ATP-Tour gesammelt haben – mit einer Ausnahme: Hat ein Spieler ein Grand-Slam-Turnier gewonnen, ist am Ende des Jahres aber nicht in den Top-8 platziert, qualifiziert er sich trotzdem für die ATP Finals, wenn er mindestens auf Platz 20 der Weltrangliste steht.

Sollten gleich mehrere Spieler ein Grand-Slam-Turnier gewonnen haben, aber nicht zu den besten acht Spielern des Jahres zählen, dann qualifiziert sich unter diesen Spielern jener, der in der Weltrangliste am höchsten platziert ist. Um die Punktzahlen und Zwischenstände einer Saison mitzuverfolgen, veröffentlicht die ATP zudem ein ATP Finals-Ranking. Hieß dieses in den vergangenen Jahren Race to London, heißt es nun bis mindestens 2025 Race to Turin.

Der Modus bei den ATP Finals: ungewohnt, aber traditionsreich

Im Gegensatz zu allen anderen Turnieren auf der ATP-Tour spielen die Spieler den Weltmeister nicht direkt in K.o.-Runden aus. Als die ITF 1970 das Masters vorstellte, gewannen Sam Smith (1970) und Ilie Nastase (1971) das Turnier noch durch Gruppensiege. Denn statt klassischen K.o.-Runden setzte der Internationale Tennisverband auf einen sogenannten Round-Robin-Modus.

Bei diesem spielen die Spieler in ihrer Gruppe einmal gegen jeden – vergleichbar also mit einer Vorrunde bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Während in den ersten beiden Turnierjahren die Weltmeister bereits nach der Gruppenphase gekürt wurden, kamen 1972 K.o.-Runden hinzu. So qualifizieren sich bis heute jeweils die Gruppenersten und -zweiten der beiden Gruppen für die Halbfinalspiele. In diesen treffen die jeweiligen Gruppenersten auf die Gruppenzweiten. Die beiden Sieger spielen dann im Finale den neuen, mittlerweile wieder inoffiziellen Tennis-Weltmeister aus.

Der gleiche Modus kommt derweil seit 2003 auch bei den WTA Finals, dem Saisonfinale der Tennisspielerinnen zum Einsatz.

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Die Punkte und Preisgelder bei den ATP Finals

Dass in den 1990er-Jahren vor allem der Grand Slam Cup scheiterte, hatte einen entscheidenden Grund: Zwar brachte die inoffizielle Weltmeisterschaft des ITFs mit fast zwei Millionen Euro Preisgeld zur damaligen Zeit den mit Abstand höchsten finanziellen Gewinn. Doch gewannen die Spieler eben keine Punkte für die ATP-Weltrangliste. In Kombination mit der Konkurrenz zur offiziellen ATP-WM machte dies das Turnier für manche Spieler und so dann vor allem für einige Zuschauer uninteressant.

Bei den ATP Finals ist das anders. Dort gibt es bereits seit der Einführung des Turniers Weltranglistenpunkte und Preisgelder. Allerdings sind die Prämien mittlerweile abhängig von der Anzahl der Siege während der Gruppen- und K.o.-Phase. Zuletzt änderte der Verband die Staffelung im Jahr 2020. Im Vergleich zu den Vorjahren sanken die Preisgelder. Der Grund: die Corona-Pandemie. Für die ATP Finals 2021 in Turin könnte die ATP die Preisgelder wieder erhöhen.

Die Preisgelder und Weltranglistenpunkte bei den ATP Finals 2020

  • Pro Sieg in der Gruppenphase: 153.000 $ (Einzel), 30.000 $ (Doppel, pro Team), 200 Punkte
  • Sieg im Halbfinale: 402.000 $ (Einzel), 56.000 $ (Doppel, pro Team), 400 Punkte
  • Sieg im Finale: 550.000 $ (Einzel), 70.000 $ (Doppel, pro Team), 500 Punkte

Zusätzlich zu den Preisgeldern erhalten die Spieler Antrittsgelder. 2020 lagen diese im Einzel bei 153.000 $ und im Doppel bei 68.500 $ pro Team. Auch hier fielen die Prämien coronabedingt geringer aus.

Die ATP Finals sind das wichtigste Hallenturnier des Jahres

Mit 1.500 Weltranglistenpunkten sind die ATP Finals nach den Australian Open, den French Open, Wimbledon und den US Open nicht nur das fünftwichtigste Turnier des Jahres. Vielmehr sind die Tennis-Weltmeisterschaften auch das wichtigste Hallenturnier der Saison.

Seit Beginn der Turnierreihe 1970 veranstalteten die Verbände die Finalrunde in geschlossenen Stadien. Damit wollten sie vor allem den schlechten Witterungsbedingungen im Spätherbst etwas entgegensetzen. Eine Ausnahme bildeten hier nur die Turniere 1974 in Melbourne und 2003 und 2004 in Houston.

Vor allem in den ersten Jahren fand die Tennis-WM auf Hallen-Teppich statt. Erst mit Einführung der modernen Hartplätze wechselten die Veranstalter auch bei den Vorgängerturnieren der ATP Finals auf eben jenen Belag.

Einzig 1974 standen die Spieler auf keinen Hartplatz. Damals trug die ITF das Turnier in Melbourne auf Rasen aus – womit es wenige Wochen vor Beginn der Australian Open zu einem kleinen Vorbereitungsturnier des Grand Slams wurde. Damals waren die Australian Open noch ein Rasenplatz-Turnier.

Kuriose Besonderheiten bei den ATP Finals

Nicht nur der ungewohnte Round-Robin-Modus machen die ATP Finals zu einem besonderen Turnier. Seit 2020 gibt es statt Linienrichtern auch das Hawk Eye Live. Mithilfe von Videokameras und über Außenmikrofone und Computerstimmen wird den Spielern und dem Stuhlschiedsrichter nun signalisiert, ob ein Ball ins Aus geflogen ist.

Grund für die Einführung im vergangenen Jahr war die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. 2021 führten die ATP und die ITF das Hawk Eye Live auch auf anderen Turnieren ein.

Die NextGen Finals als Testprojekt der ATP

Gänzlich neu ist dieses System allerdings nicht. Seit einigen Jahren testet die ATP das System bei ihren NextGen Finals. Die Endrunde der besten acht Nachwuchsspieler unter 21 ist das Pendant zu den ATP Finals. Und bei diesem Nachwuchsfinale tobt sich der Herren-Tennisverband gerne aus.

So kam bei den Junioren beispielsweise neben dem Hawk Eye Live auch zum ersten Mal die sogenannte No-Ad-Regel auf Profiebene im Einzel zum Einsatz. Bei dieser gibt es bei Einstand einen Entscheidungs- statt einen Vorteilspunkt. Auch verkürzte Sätze bis vier, No-Let, Spieler-Coaching und eine „Free Movement Policy“ für Fans testet die ATP auf ihrem Nachwuchsturnier.

Welche Regeln in Zukunft auf der ATP-Tour zum Einsatz kommen, ist allerdings noch nicht klar. „Die NextGen Finals wurden nicht nur für die nächste Spielergeneration, sondern auch für die nächste Zuschauergeneration entwickelt“, sagte der ehemalige ATP-Chef Kermode einst. Vielleicht sind die ATP-Finals also bald wieder Vorreiter.

Sieger der Tennis-Weltmeisterschaft seit 1970

Die Siegerliste aufklappen
  • 1970: Stan Smith
  • 1971: Ilie Năstase
  • 1972: Ilie Năstase
  • 1973: Ilie Năstase
  • 1974: Guillermo Vilas
  • 1975: Ilie Năstase
  • 1976: Manuel Orantes
  • 1977: Jimmy Connors
  • 1978: John McEnroe
  • 1979: Björn Borg
  • 1980: Björn Borg
  • 1981: Ivan Lendl
  • 1982: Ivan Lendl
  • 1983: John McEnroe
  • 1984: John McEnroe
  • 1985: Ivan Lendl
  • 1986: Ivan Lendl
  • 1987: Ivan Lendl
  • 1988: Boris Becker
  • 1989: Stefan Edberg
  • 1991: Pete Sampras
  • 1992: Boris Becker
  • 1993: Michael Stich
  • 1994: Pete Sampras
  • 1995: Boris Becker
  • 1996: Pete Sampras
  • 1997: Pete Sampras
  • 1998: Àlex Corretja
  • 1999: Pete Sampras
  • 2000: Gustavo Kuerten
  • 2001: Lleyton Hewitt
  • 2002: Lleyton Hewitt
  • 2003: Roger Federer
  • 2004: Roger Federer
  • 2005: David Nalbandian
  • 2006: Roger Federer
  • 2007: Roger Federer
  • 2008: Novak Djokovic
  • 2010: Roger Federer
  • 2011: Roger Federer
  • 2012: Novak Djokovic
  • 2013: Novak Djokovic
  • 2014: Novak Djokovic
  • 2015: Novak Djokovic
  • 2016: Andy Murray
  • 2017: Grigor Dimitrov
  • 2018: Alexander Zverev
  • 2019: Stefanos Tsitsipas
  • 2020: Daniil Medvedev

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