Golden Slam: Wie Tennis das olympische Feuer entfachte

Wer den Golden Slam gewinnt, schreibt Tennisgeschichte – so wie Steffi Graf. Das hat Gründe. Denn lange Zeit war Tennis kein Teil von Olympia. Doch mittlerweile ist der Sport aus dem olympischen Programm nicht mehr wegzudenken.

Der Golden Slam: Die Geschichte des Tennis bei Olympia und den Olympischen Spielen

Von Tillmann Becker-Wahl, Illustration: Oona

Als 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen stattfanden, spielten auch 15 Männer um die Goldmedaille im Tennis. Den Golden Slam gab es damals noch nicht, und auch die bekanntesten Spieler ihrer Zeit waren diese 15 Männer nicht. Vielmehr fand so mancher gar zufällig seinen Weg ins Velodrom Neo Faliro – jenem Ort, an dem neben den Bahnradwettkämpfen auch die Tennisspiele ausgetragen wurden. Doch warum strich das Internationale Olympische Komitee (IOC) 1924 Tennis aus dem Programm, nahm es 1988 wieder auf und weshalb konnte bislang lediglich Steffi Graf den Golden Slam gewinnen? Wir sind dem Weg des olympischen Feuers gefolgt.

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Nationaler Egoismus und Machtdemonstrationen verschiedener Staaten prägten die Welt des späten 19. Jahrhunderts. Die Gefahr eines nächsten Krieges hing verstärkt in der Luft. Diesen fürchtete auch Pierre de Coubertin. Der französische Pädagoge und Historiker sehnte sich, wie viele Menschen dieser Zeit, nach Frieden. Die Lösung dafür glaubte er im Sport gefunden zu haben. Die Idee: die Wiederaufnahme der Olympischen Spiele.

Bei einem internationalen Sportkongress 1894 beriet eine von Coubertin zusammengestellte Kommission über diesen Vorschlag. Am achten Tag des Kongresses stimmten die Teilnehmer dann dem Vorschlag der Kommission zu – und legten die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit nach Athen. Bis zur Eröffnungsfeier dieser am 6. April 1896 blieben weniger als zwei Jahre Vorbereitungszeit.

Nur neun Sportarten: Tennis ist Teil der 1. Olympischen Spiele

„Das Organisationskomitee hatte für die Planung des olympischen Programms fast keine Vorlaufzeit – und bis auf die antiken Spiele auch kein Vorbild“, erklärt Dr. Andreas Höfer, Direktor des Deutschen Sport & Olympia Museums in Köln. Der Finanzmangel Griechenlands zwang die Organisatoren zudem, ein einfach umzusetzendes Programm zu entwickeln. Die Lösung: auf Bewährtes setzen.

Die Idee der Veranstalter war es, das Programm auf drei Säulen zu stützen. „Als erstes sollten die neuen Spiele an die der Antike anknüpfen“, sagt Höfer. „Von daher nahmen die Organisatoren etwa Leichtathletik und Ringen ins Programm auf.“ Hinzu kamen das zu dieser Zeit beliebte deutsche Turnen und die aufstrebenden englischen Sportarten. „Dazu zählte auch das Tennis“, erklärt Höfer.

Damit war Tennis eine der neun Sportarten bei der olympischen Premiere. Frauen kämpften zu dieser Zeit noch nicht um Tennis-Medaillen. In Athen durften 1896 nur Männer teilnehmen.

Beim Tennis und Golf: Die ersten Frauen bei Olympia

Frauen bei Olympischen Spielen – das galt lange als ausgesprochenes Tabu, vor allem in der Leichtathletik. Für viele Männer dieser Zeit galten die kurzen Sporthosen der Damen als Sittenverfall. Erst 1928 durften Frauen bei ausgewählten Disziplinen offiziell teilnehmen. Weibliche Vorreiterinnen gab es unter anderem beim Tennis und Golf. Dort traten bereits bei den zweiten Spielen 1900 in Paris insgesamt 17 Frauen an. Auch drei Croquet-Spielerinnen und eine Seglerin kämpften um olympisches Gold.

Erstes Tennis-Gold holte 1896 derweil der Ire John Pius Boland. Der irische Politiker war zu dieser Zeit rein zufällig in Athen, besuchte seinen Freund Thrasyvoulos Manos.

Manos wiederum wusste, dass Boland nicht nur politische Reden schwingen, sondern vor allem auch gut Tennis spielen konnte. Als Mitglied des Organisationskomitees überzeugte er Boland, an den Spielen teilzunehmen – und schrieb ihn ein. Überraschend gewann Boland dann nicht nur olympisches Gold im Einzel, sondern auch im Doppel – mit seinem deutschen Partner Friedrich Traun.

Nach Streit mit dem Tennisverband: IOC streicht Tennis aus dem Olympia-Programm

Viele weitere Jahre konnte Tennis dann jedoch keine olympische Geschichte schreiben. 1924 strich das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Sportart aus dem Programm. Probleme zwischen dem IOC und dem internationalen Tennisverband (ITF) „gab es schon früh“, sagt Höfer.

Als Pierre de Coubertin 1894 die Idee entwickelte, die Olympischen Spiele in die Neuzeit zu holen, sollte es ein Fest des Amateurismus sein. „Allerdings waren beide Dachverbände uneinig, was nun als Amateursport zu verstehen ist“, erklärt der Direktor des Deutschen Sport & Olympia Museums in Köln. „Den Bruch gab es nach den Spielen von 1924 in Paris. Der ITF hatte sich geweigert, die strengen Amateursportregeln des IOC umzusetzen.“ So verschwand Tennis von der olympischen Bühne.

Streitigkeiten über die Amateurregeln gab es indes nicht nur beim Tennis. Auch in anderen Sportarten legten sich die Verbände und Sportler mit dem IOC an. So disqualifizierte das Olympische Komitee 1912 beispielsweise Jim Thorpe nach seinen Siegen im Fünf- und Zehnkampf nachträglich. Thorpe hatte vor den Spielen in Stockholm zwei Jahre lang in einer halb-professionellen Baseballliga gespielt. Erst Jahrzehnte später wurde Thorpe rehabilitiert.

Bis sich jedoch das Tennis rehabilitierte, dauerte es bis in die 1980er-Jahre. Wenngleich es zwischen dem ITF und den Tennisspielern krachte und so 1968 mit Beginn der Open Ära die Professionalisierung des Tennis begann, öffnete sich auch das IOC immer mehr dem Profisport. In Demonstrationswettkämpfen testeten die Veranstalter die Tennis-Resonanz der Zuschauer: bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt und 1984 in Los Angeles.

Öffnung der Olympischen Spiele: Tennis zurück bei Olympia

„1981 beschloss das IOC bei einem Kongress in Baden-Baden eine Reform der bis dahin strengen Zulassungsregeln – und öffnete damit die Olympischen Spiele für Profis“, erklärt Experte Höfer. Während die Entscheidung dafür sorgte, dass die US-amerikanischen Basketballer ihr Jahrhundertteam um Michael Jordan aufstellen konnten, löste diese Revolution beim Tennis nicht nur Jubelströme aus. „Anders als beispielsweise bei der Leichtathletik sind die Olympischen Spiele für Tennisspielerinnen und -spieler nicht unbedingt das höchste der Gefühle“, sagt Andreas Höfer.

Gerade während der 1980er-Jahre passte der Tenniswettbewerb bei den Olympischen Spielen nicht so recht in den Turnierkalender. Auch Preisgelder gab und gibt es keine. Und dennoch: 1988 fand Tennis in Seoul seinen Weg zurück zu den Olympischen Spielen. „Gerade für Steffi Graf hatten die Spiele offenbar einen besonderen Reiz“, glaubt Höfer. „Auch wenn es keine Preisgelder gibt, ist der sogenannte Golden Slam wohl ein Titel, mit dem sich die Besten der Besten gerne schmücken würden.“

Dass dies so ist, ist logisch. Gerade einmal alle vier Jahre haben Tennisprofis die Chance, den sogenannten Golden Slam zu gewinnen – den Sieg aller vier Grand-Slam-Turniere und die olympische Goldmedaille in einem Jahr. Einzig Steffi Graf konnte bislang diesen Golden Slam gewinnen – eben 1988 in Seoul. Doch warum gelang dieser Erfolg bislang nur Graf? Das hat mehrere Gründe.

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Warum Steffi Grafs Golden Slam so besonders ist

Einen echten Grand Slam zu gewinnen, ist eine absolute Seltenheit – und oft nicht nur mit herausragendem Talent, sondern auch mit etwas Glück verbunden. Denn während die Australian und US Open auf Hartplätzen gespielt werden, finden die French Open auf Sand und Wimbledon auf Rasen statt.

Die Geschichte des Tennis allerdings zeigt: auf allen drei Belägen der beste Spieler in einem Jahr zu sein, ist schwierig. Bis heute gelang es erst fünf Tennisspielerinnen und -spielern, einen Grand Slam zu gewinnen:

  • Don Butch (USA) im Jahr 1938
  • Maureen Connolly (USA) im Jahr 1953
  • Rod Laver (Australien) 1962 und 1969
  • Margaret Court (Australien) 1970
  • Steffi Graf (Deutschland) 1988

Logischerweise hatten nur diese fünf Ausnahmetalente die Chance, einen Golden Slam zu gewinnen. Da Tennis aber zwischen 1924 und 1988 nicht Teil des olympischen Programms war, war Steffi Graf tatsächlich die bislang einzige, die die Gelegenheit hatte – und nutzte.

„Steffi Graf hatte das Glück, dass sie 1988 mit gerade einmal 19 Jahren fast schon auf dem Zenit ihrer Karriere gewesen war“, sagt Experte Höfer. Vor Beginn der Olympischen Spiele gewann die Deutsche mit dem Sieg bei den US Open den Grand Slam. Ihre Finalgegnerin damals: Gabriela Sabatini.

Auch wenige Wochen später in Seoul stand sie der Argentinierin im Endspiel gegenüber. „Ich erinnere mich noch ganz besonders an die Olympischen Spiele 1988“, erzählt Höfer. „Damals war ich an verschiedenen Tagen beim Tennis, auch bei den Trainingseinheiten. Dort beobachtete ich sowohl Sabatini als auch Graf – und mir war klar, dass Sabatini auch in Seoul kaum Chancen gegen Steffi haben würde.“

Wird der Golden Slam noch einmal wiederholt?

Für Barbara Rittner war der Erfolg von Steffi Graf 1988 einmalig. 2018 sagte die Tennis-Bundestrainerin, dass sie glaube, dass „der Golden Slam nie wieder von jemandem erreicht wird, es ist was ganz Besonderes.“

Auch Museumsdirektor Höfer bestätigt, dass Steffi Grafs Golden Slam „ganz sicher ein herausragender Erfolg ist. Allerdings denke ich, dass er tatsächlich noch einmal wiederholt werden könnte.“

2016 hatte Novak Djokovic einen erfolgsversprechenden Start ins olympische Jahr. Nach Siegen bei den Australian und den French Open musste sich der Serbe jedoch in Wimbledon geschlagen geben. Auch bei den Olympischen Spielen 2021 galt Djokovic als Golden-Slam-Kandidat. Nachdem er die ersten drei Grand-Slam-Turniere des Jahres gewann, unterlag er im Halbfinale von Tokio Alexander Zverev knapp – und verpasste damit die Chance auf den Golden Slam.

Trotzdem zeigen die Erfolge Djokovics, dass durchaus noch einmal Golden-Slam-Geschichte geschrieben werden könnte. Auch Museumsdirektor Höfer sagt: „Unmöglich ist das nicht.“ Die nächsten Olympischen Spiele 2024 werden es zeigen. Oder auch nicht.

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